Mädchenröte by Hartz Cornelius

Autor:Hartz, Cornelius [Hartz, Cornelius]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863588700
Herausgeber: Emons
veröffentlicht: 2015-08-19T16:00:00+00:00

26

Frauke Bohm schien auf ihrem Fahrrad nicht in Eile zu sein. Hatte sie Feierabend? Das wäre schon ein gehöriger Zufall, so kurz nachdem sie von der Kripo Besuch hatte. Ankes Jagdinstinkt erwachte. Sie lief zu ihrem Auto und suchte dabei in ihrer Manteltasche nach dem Autoschlüssel.

Als sie auf die Straße einbog, sah sie gerade noch, wie das Fahrrad hinten an der Kreuzung, in etwa zwanzig Metern Entfernung, geradeaus fuhr.

Anke folgte der Frau auf dem Rad mit einigem Abstand. Auch wenn das ihrer Erfahrung nach eigentlich nicht nötig gewesen wäre – anders als Autos hatten Fahrräder schließlich keinen Rückspiegel.

Doch die Fahrt war schneller zu Ende als gedacht: Als sie über die Kreuzung fuhr, passierte sie ein Sackgassenschild. Natürlich, dahinten, wo Frauke Bohm gerade auf ihrem Fahrrad zwischen den Bäumen verschwand, war die Straße zu Ende. Da ging es nur zu Fuß weiter. Oder eben mit dem Rad.

Anke fuhr rechts ran.

Verdammter Mist. Hatte sie gemerkt, dass ihr jemand folgte? Das konnte eigentlich nicht sein. Wahrscheinlich fuhr sie einfach nur auf direktem Wege irgendwohin. Aber wohin?

Weiter südlich lag die Schlei, dann kam man etwas weiter östlich zum Holm. Ob sie zum Friedhof fuhr?

Einen Versuch war es wert.

Drei Minuten später war sie am Holm und parkte ihr Auto im eingeschränkten Halteverbot. Frauke Bohm musste aus derselben Richtung kommen, aber ein paar Minuten länger als Anke brauchte sie sicherlich für die knapp drei Kilometer. Falls sie kam und nicht ganz woandershin fuhr.

Anke betrat den Friedhof von der Rückseite der Kapelle aus. Erst einmal abwarten und im Hintergrund halten.

Sie musste keine fünf Minuten warten, da erschien eine Frau auf dem Fahrrad. Es war tatsächlich Frauke Bohm. Sie stieg vom Rad, ließ es stehen, ohne es anzuschließen, und ging mit schnellen Schritten auf ein Grab zu. Davor blieb sie stehen.

Anke verließ ihren Posten an der Seite der Kapelle und ging außen um das runde Areal herum, um sich der Frau von hinten nähern zu können.

Als sie bei ihr war, stand Frauke Bohm nicht mehr, sondern war in die Hocke gegangen, hatte das Gesicht in den Händen vergraben und weinte leise.

Es war Siggendieks Grab. Es gab sogar schon einen Grabstein. Da hatte der Steinmetz sich aber ins Zeug gelegt. Auf der schlichten grauen Steinplatte stand unter seinen Lebensdaten: »Das kostbarste Vermächtnis eines Menschen ist die Spur, die seine Liebe in unseren Herzen zurückgelassen hat«.

Wenn sie sich einen Spruch hätte ausdenken sollen, der überhaupt nicht zur Person von Siggendiek passte, so wie man sie über die Medien wahrgenommen hatte, dann wäre es dieser gewesen, dachte Anke. Und sicherlich hätte er ihn für sich selbst auch nicht gewählt. Allerdings konnte der Schein natürlich auch trügen. Vielleicht war es auch und gerade dieser Spruch, der die Frau, die da zitternd in ihre Handflächen wimmerte, so bewegte.

Anke räusperte sich. »Frau Bohm?«

Frauke Bohm schreckte hoch, stand sofort auf und drehte sich um. Der Zorn, der in ihren nassen Augen lag, als sie Anke erkannte, legte sich sofort wieder. Sie hatte sich gut im Griff.

»Es tut mir leid, dass ich Sie stören muss«, begann Anke, »aber ich glaube, wir sollten noch einmal miteinander sprechen.

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